Eine wechselvolle Geschichte

Die Arbeiterwohlfahrt betrachtet den 13. Dezember 1919 als ihren offiziellen Gründungstag. Es ist der Tag, an dem der Parteiausschuss der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands dem Antrag der SPD-Frauensekretärin und Reichstagsabgeordneten Marie Juchacz auf Gründung eines „Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt“ zustimmt. Ziel ist die Mitwirkung der Arbeiterwohlfahrt bei der Wohlfahrtspflege und die Berücksichtigung der spezifischen Interessen der Arbeiterschaft.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Elend in vielen Arbeiterfamilien unsagbar. Seit Beginn des Ersten Weltkrieges waren neue soziale Notstände aufgebrochen und zur Massennot eskaliert.

Im Zusammenbruch des Kaiserreiches und nach dem Kriegsende von 1918 vervielfältigten sich die Nöte der Menschen. So lag es nahe und es entsprach auch der damaligen sozialen Situation, die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer der sozialdemokratischen Partei im Reich zu einer sozialdemokratischen Hilfsorganisation zusammenzufassen. Dies geschah am 13.12.1919. Es ist der Verdienst von Marie Juchacz, diese für die deutsche Arbeiterbewegung wahrhaft geschichtliche Leistung eingeleitet und politisch auf den Weg gebracht zu haben.

Von Beginn an verstand sich die Arbeiterwohlfahrt nicht ausschließlich als Wohlfahrt für die organisierte oder nicht organisierte Arbeiterschaft; ihre Wirkung reichte darüber hinaus in den Mittelstand hinein.

In dieser Gründungsphase war die Sicherung der sozialen Grundversorgung sowie die Absicherung von notleidenden Bürgern gegenüber den Wechselfällen des Lebens als eine weltweit noch ungelöste Aufgabe politisch hochaktuell. Sozialdemokratische Partei und Arbeiterwohlfahrt waren sich in Konzeption und Zielsetzung einig darüber, dass eine zukünftige reichseinheitliche wohlfahrtspflegerische Grundsicherung Aufgabe der Gemeinden, Städte und Kreise sowie der staatlichen Stellen sein sollte.

Bei der Gründung bestand zunächst Einigkeit darin, dass die Arbeiterwohlfahrt nicht selbst Träger von sozialen Einrichtungen und Diensten werden sollte. In der Zeit des Obrigkeitsstaates haben Sozialdemokraten und Gewerkschaften ungezählte Male die Erfahrung machen müssen, dass soziale Hilfsbedürftigkeit als persönliches Versagen betrachtet – durch demütigende Hilfeleistung auch so behandelt wurde – und dass die Mildtätigkeit bürgerlicher Armenpflege von den „sozialistischen Aufrührern“ halt machte. Eine eigene in „Wohlfahrt“ und „Pflege“ tätige Organisation von Sozialdemokratie und Gewerkschaften war daher unabweisbar.

Die Massennotstände und der damit verbundene elementare Zwang zu humanitärem Handeln zwang die Arbeiterwohlfahrt sehr schnell, nicht nur auf Hilfen der Kommunen zu warten; insbesondere die als Krüppel zurückkommenden, die Waisenkinder und Kriegerwitwen, der Hunger der Arbeitslosen und ihrer Familien beispielsweise erzwangen praktisch eine Ausweitung der Aufgabenfelder und Zuständigkeiten. Der Druck der praktischen Sozialhilfe „vor Ort“ schob die wohlfahrtspflegerischen Grundsätze einer Hilfe und Versorgung durch die Kommunen rasch in den Hintergrund.

Die Solidarität wurde zur treibenden Kraft von der Gründung an über die Zeit des faschistischen Terrors hinweg bis in die Nachkriegszeit hinein. Das „Hilfswerk“ Arbeiterwohlfahrt entwickelte sich in einem überraschenden Tempo; bereits 1924 nennt der Rechenschaftsbericht mehr als 1.200 Ortsausschüsse.

Die aus dem Zusammenbruch des Kaiserreiches, aus der drückenden Last wirtschaftlich untragbarer Reparationsleistungen an die Siegermächte sowie aus der Weltwirtschaftskrise hervorgegangene Notlage ungezählter Familien ließ bis 1933 zahlreiche, zentral nicht geplante, Hilfsdienste und Einrichtungen entstehen.

Auch aus Baden-Württemberg gibt es viele Beispiele segensreichen Wirkens: aus den sozialdemokratischen Hochburgen wie Mannheim, aus mittleren Städten und vom flachen Land. In Stuttgart unterhielt die Arbeiterwohlfahrt – zusammen mit dem Verein „Arbeiterjugendhilfe“ – ein Jugendheim, das Pestalozzihaus, ein alkoholfreies Restaurant und führte auch im schlimmen Hungerjahr 1921 in vier Waldheimen Kinderspeisung durch; 1056 Kinder wurden vier Wochen lang betreut und verpflegt – ausschließlich durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.

Angesichts sechs Millionen Arbeitslose ging die Arbeiterwohlfahrt gegen Mutlosigkeit und Verzweiflung an, durch Gründung der „Solidaritätshilfe“. Der Jugendnot wurde entgegengesteuert durch Projekte des „Freiwilligen Arbeitsdienstes“.

In den Monaten Mai und Juni 1933 zerschlugen die Nazis die ungezählten, für das Gedeihen einer sozialen Gesellschaft so hoffnungsvollen, Initiativen, beraubten die Arbeiterwohlfahrt ihres Vermögens und ihrer sozialen Einrichtungen; sie übernahmen Heime, die einst mit viel Idealismus und unter großen Opfern entstanden waren.

Sowohl die Frauen und Männer in Führungsfunktionen als auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer wurden Repressalien ausgesetzt, verfolgt, eingekerkert, gefoltert und auch ermordet. Viele überlebten nur im Exil.

Als 1945 die Nationalsozialisten ein materielles und geistiges Trümmerfeld ohnegleichen hinterließen, kehrten sie aus der Emigration und politischer Zurückgezogenheit zurück. Wer das faschistische Inferno überlebte, packte erneut zu und brachte seine vor 1933 gesammelten Erfahrungen sowie die ungebrochene Bereitschaft zur Solidarität mit notleidenden Menschen als unzerstörbares Kapital erneut ein.

Der „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt“ wurde bereits Anfang 1946 in Hannover erneut ins Leben gerufen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Arbeiterwohlfahrt kamen überein, die politische und konfessionelle Unabhängigkeit in der Satzung festzuschreiben, als einen demokratisch aufgebauten eigenständigen Verband der freien Wohlfahrtspflege, dessen Willensbildung von den Mitgliedern ausgeht.

Auch im neunten Jahrzehnt ihrer Arbeit gründet sich die soziale Daseinsvorsorge der Arbeiterwohlfahrt auf der Würde des Menschen und widmet sich vor allen jenen Menschen, die in einer Konsum- und Ellbogengesellschaft besonders benachteiligt sind; sie wirkt sozialer Ungerechtigkeit entgegen und hilft beim Ausbau eines zeitgerechten Systems sozialer Leistungen mit. So nahm bzw. nimmt die Arbeiterwohlfahrt entscheidenden Einfluss auf die Sozialgesetzgebung, z. B. das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), um nur zwei exemplarisch zu erwähnen.

Nur eine soziale Gesellschaft, die allen ihren Gliedern gleichwertige Lebenschancen und eine angemessene wirtschaftliche Grundlage gewährt, ist frei zu nennen. Soziale Gerechtigkeit ist daher notwendigerweise zu einer Grundforderung der Arbeiterwohlfahrt an das staatliche Gemeinwesen und darüber hinaus geworden.

Die Geschichte der Arbeiterwohlfahrt im Unterland

Nur wenige Wochen nach der Gründung der Arbeiterwohlfahrt in Berlin wurde auch im Unterland der organisatorische Aufbau des Verbandes begonnen. Nach mündlichen Aussagen, schriftliche Unterlagen fehlen leider, wurden schon Anfang 1920 Ortsvereine in Böckingen und Heilbronn gegründet.

Mit ziemlicher Sicherheit dürften die damaligen Gründungsmitglieder aus den Reihen der SPD und des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) gekommen sein und dürften mit jenen Personen weitgehend identisch gewesen sein, die bereits seit der Jahrhundertwende soziale Arbeit innerhalb der Partei und den Gewerkschaften geleistet haben.

So wurden beispielsweise vom ADGB schon vor dem ersten Weltkrieg Kinderwanderungen und Spielnachmittage in den Schulferien durchgeführt. Auch eine erste Form von Familienhilfe bei Krankheit der Mutter oder bei anderen Notsituationen bestand, wobei all diese Hilfen mehr auf den akuten Notfall reagierten und sporadisch durchgeführt wurden.

Nach der Gründung der Arbeiterwohlfahrt wurden diese Ansätze praktischer sozialer Hilfen in einen organisatorischen Rahmen gebracht und konnten damit gezielter und effektiver eingesetzt werden.
Bereits 1922 wurde mit Luise Böhringer die erste hauptamtliche Familienhelferin bei der Heilbronner Arbeiterwohlfahrt eingestellt. Die Ferienwanderungen für Kinder wurden ebenfalls Anfang der 20er Jahre verstärkt durchgeführt und sind zumindest seit 1923 durch Presseartikel und Beschlüsse des Heilbronner Stadtrates belegt. Damit war auch der Grundstein für die noch heute so beliebten und wichtigen Kinderstadtranderholungen gelegt. Als dann mit dem Bau der Baracke, im ehemaligen Waldheimgelände, ein festes Domizil geschaffen wurde, konnten Kinder- und Seniorenfreizeiten in einer eigenen Einrichtung durchgeführt werden. Auch eine Nähstube der Arbeiterwohlfahrt bestand bereits in den frühe 20er Jahren und hatte offenbar einen regen Zuspruch. Allgemeine Sozialbetreuung, Familienhilfe, Sammlung und Weitergabe von gebrauchter Kleidung, individuelle Hilfen in besonderen Notsituationen, Kinderbetreuung und vieles mehr waren damals Arbeitsschwerpunkte des jungen Verbandes.

Der Ortsverein Böckingen führte in Großgartach und der Ortsverein Heilbronn im Waldheimgelände beim Jägerhaus Kinderstadtranderholungen durch. Auch in Neckarsulm, Bad Wimpfen, Weinsberg und Bad Friedrichshall entstanden in den 20er Jahren Ortsvereine der Arbeiterwohlfahrt. Die bereits erwähnten Aufgaben und Aktivitäten dürften auch hier im Mittelpunkt gestanden haben. Jedenfalls kann festgestellt werden, dass wenige Jahre nach ihrer Gründung die Arbeiterwohlfahrt zu einem wichtigen Bestandteil im Sozialgefüge in den Städten und Gemeinden des Unterlandes geworden ist. Es wird auch immer wieder von relativ hohen Mitgliederzahlen gesprochen. Leider sind jedoch alle schriftlichen Unterlagen in der Zeit des Naziregimes verloren gegangen. Mit der Machtübernahme der Nazis wurde nämlich auch die Arbeiterwohlfahrt zerschlagen und Funktionäre und Mitarbeiter verfolgt und inhaftiert, nachdem jeder Versuch, die Arbeiterwohlfahrt gleichzuschalten, fehlgeschlagen war. Die Arbeiterwohlfahrt wurde verboten, das gesamte Vermögen und alle Einrichtungen eingezogen und enteignet. Erst nach Ende des Krieges konnte die soziale Arbeit wieder aufgenommen werden.

Es ist heute kaum noch vorstellbar, welche Aufgaben den Wohlfahrtsverbänden in den ersten Nachkriegsjahren gestellt waren. Obwohl jeder Verband um das eigene Überleben zu kämpfen hatte, fanden sich Frauen und Männer in der Arbeiterwohlfahrt bereit, am Wiederaufbau, an solidarischer Hilfe für die sozial Schwachen und an der Neugestaltung eines sozialen Staatswesens mitzuarbeiten. Sehr schnell gründeten sich auch in Stadt- und Landkreis Heilbronn wieder neue Ortsvereine, damals noch unter dem Namen „Württembergischer Wohlfahrtsverband“, um der überall herrschenden Not entgegenzuwirken. Es entstanden sechs Ortsvereine, die sich zum Kreisverband Heilbronn zusammenschlossen.

Als die erste Not überwunden war und sich das Leben wieder zu normalisieren begann, änderten sich auch die Aufgaben der Arbeiterwohlfahrt. Es ging nun darum, neben der immer noch notwendigen individuellen Hilfe bei akuten Notsituationen, auch wieder zu einer längerfristigen, gezielten sozialen Arbeit zu kommen. 1947 konnte die erste Kinderfreizeit im wiederhergestellten Waldheim in Heilbronn durchgeführt werden. In den Folgejahren wurden diese auch von Kindern aus Weinsberg und Neckarsulm besucht, bis es dem Ortsverein Neckarsulm 1958/59 möglich war, eine eigene Einrichtung, das Waldheim in Amorbach zu bauen, die durch mehrfache An- und Ausbauten ihr derzeitiges Gesicht bekam. Auch in Heilbronn musste das alte, nicht mehr funktionsfähige, Waldheim einem neuen weichen, welches am 15. April 1977 eröffnet wurde und als Jugend- und Bildungsstätte einen wesentlich veränderten Nutzungsrahmen erhielt.

Der Kreisverband Heilbronn hat im Rahmen einer reformierten Organisationsstruktur des Bezirksverbandes Nordwürttemberg e. V. seit 1972 auch wesentlich mehr Entscheidungsmöglichkeiten vor Ort, aber auch eine größere Verantwortung erhalten. Diese Entwicklung war sicherlich zeitgemäß und notwendig. Auch die hauptamtliche Besetzung der Kreisgeschäftsstelle ermöglichte es erst, weitere soziale Aufgaben in Angriff zu nehmen und sich im sozialen Dienstleistungssektor zu etablieren.

Eine weitere Organisationsreform des Bezirksverbandes Württemberg e. V., beschlossen auf der Bezirkskonferenz in Giengen 1992, war eine wesentliche Zäsur für die Kreisverbände und Ortsvereine mit professionellen Diensten bzw. eigenen Einrichtungen. Sie wurden eigene Rechtsträger sowie wirtschaftlich selbständige Gliederungen. Dies hatte natürlich auch eine uneingeschränkte Eigenverantwortung bezüglich Finanzierung der Dienste und Einrichtungen der Kreisverbände und Ortsvereine zur Folge.

Im Rahmen dieser Strukturreform beschloss der Ortsverein Heilbronn 1992 den Austritt aus dem Kreisverband und gründete einen eigenen Kreisverband, den Kreisverband Heilbronn Stadt e. V.. Dies veranlasste den Rest-Kreisverband auch zu einer Namensänderung, um Verwechslungen zu vermeiden. Auf einer außerordentlichen Kreiskonferenz am 30.10.1993 wurde eine neue Satzung beschlossen, welche u.a. die Namensänderung in Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Heilbronn Land e. V. zur Folge hatte.

Im April 1997 sah sich die Arbeiterwohlfahrt einer schweren Belastung ausgesetzt: Die Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Heilbronn Stadt musste wegen Zahlungsunfähigkeit Konkurs beim Amtsgericht anmelden. In dieser Situation war verbandliche Solidarität gefordert. Der Kreisverband Heilbronn übernahm einen Grossteil der Dienste, Einrichtungen und Mitarbeiter und führte die sich in der Vorbereitung befindende Kinderstadtranderholung im Waldheim beim Jägerhaus durch. Mit einer guten Öffentlichkeitsarbeit konnte der Imageschaden für die Arbeiterwohlfahrt in erträglichen Grenzen gehalten werden. Leider konnte das AWO-Waldheim trotz vielfacher konzeptioneller und trägerübergreifender Rettungsversuche nicht gehalten werden. Im Jahr 2000 fanden dort die letzten Kinderfreizeiten statt. Das Waldheim ging in den Besitz der Stadt Heilbronn über und steht nun zum Verkauf an. Damit ging auch ein langes, fast 80jähriges, und sozial wertvolles Stück AWO-Geschichte verloren.

Entsprechend dem Leitbild der Arbeiterwohlfahrt ist es auch in finanziell schwierigen Zeiten unser Bestreben, den bei der AWO Hilfesuchenden Dienste mit hoher Qualität zu bieten. Fachliches und kompetentes Handeln und Verlässlichkeit in unseren Entscheidungen sind für uns unverzichtbar.

Die Arbeiterwohlfahrt ist ein anerkannter Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege

  • konfessionell neutral
  • politisch unabhängig

ein Verband, indem sich Frauen und Männer zusammengeschlossen haben, um fortschrittlich soziale Arbeit zu fördern,

ein Verband, in dem ehrenamtliche Mitarbeiter an der Lösung sozialer Aufgaben aus staatsbürgerlicher Verantwortung und mitbürgerlicher Gesinnung mitarbeiten,

ein demokratisch und föderativ aufgebauter Verband, dessen Willensbildung von den Mitgliedern ausgeht,

ein Verband, der eine freiheitlich-demokratische und sozial gestaltete Grundordnung des Gemeinwesens für eine unverzichtbare Voraussetzung sozialer Arbeit hält,

ein Verband, der Rat- und Hilfesuchenden aller Bevölkerungskreise dient, ohne nach der rassischen, politischen oder konfessionellen Zugehörigkeit des Einzelnen zu fragen.

Zusatzinformationen oder Bereichsnavigation